Pressemitteilungen vom 09.05.2023

ZAHL DER ABBRÜCHE WIEDER GESTIEGEN

Diakonie fordert mehr Gewicht für Kinder und Familien

5.515 Frauen mit Wohnort in Sachsen haben im Jahr 2022 einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen. Das waren 465 Abbrüche (9,2 Prozent) mehr als im Vorjahr. Gleichzeitig stieg die Anzahl der Frauen im Alter von 15 bis unter 50 Jahren in Sachsen um 17.945 (2,5 Prozent), wovon ein gewisser Anteil geflüchtete ukrainische Frauen sind.

„Über neun Prozent mehr Abbrüche, das klingt zunächst sehr viel. Die Zahl bezieht sich auf das Vergleichsjahr 2021. Dieses Jahr gilt aber nicht nur in Sachsen, sondern auch bundesweit als „Ausreißerjahr“ mit einer besonders niedrigen Anzahl an Abbrüchen“, sagt Ute Lämmel, Referentin für die Schwangerschafts(konflikt)beratungsstellen bei der Diakonie Sachsen.

„Dennoch erfüllt uns die wieder steigende Zahl der Abbrüche mit Sorge. Besonders im 3. Quartal 2022 stiegen die Zahlen bundesweit deutlich an, was mit hoher Wahrscheinlichkeit sowohl mit dem im Alltag erfahrenen Preisanstieg, insbesondere bei Nahrungsmittel- und Energiepreisen, sowie dem anhaltenden Kriegsgeschehen in der Ukraine zusammenhängt. Der enge Zusammenhang zwischen schwierigen Lebenssituationen, zu denen auch gesellschaftliche und ökonomische Unsicherheiten und Notlagen zählen, und Schwangerschaftsabbruch ist gut erforscht.

Aber: Auch wenn sich dies in unserer diakonischen Gesamtstatistik für das Jahr 2022 noch nicht abbildet, hören unsere Schwangerenberaterinnen seit letztem Jahr immer öfter: ‚In diese Welt kann/möchte ich kein Kind setzen!‘ Das heißt, dass Sorgen und Zukunftsängste zunehmen und das Vertrauen, dem eigenen Kind eine sichere Zukunft ermöglichen zu können, schwindet. Das ist in dieser Deutlichkeit eine neue Entwicklung!“  Daneben spielt die Brüchigkeit familiärer und partnerschaftlicher Beziehungen weiterhin eine wesentliche Rolle.

Diakonie-Chef Dietrich Bauer sagt: „Wir tun mit unserer psychosozialen Beratung werdender Eltern in unserer diakonischen Schwangerenberatung alles dafür, das gesunde Aufwachsen von Kindern frühzeitig zu unterstützen! Und wir hören gut zu. Unsere Beratungsstellen sind daher Seismografen für gesellschaftliche Entwicklungen. Wenn jetzt große Zukunftsängste aufgrund der (welt-)politischen Situation öfter genannt werden, ist das ein alarmierendes Zeichen. Dazu kommt, dass Kinder in unserer Gesellschaft viel zu wenig Gewicht haben: zu wenig Kitaplätze, Lehrermangel, keine ausreichenden Kapazitäten in der Kindermedizin; das unwürdige Geschachere um die Kindergrundsicherung. Auch der Umgang mit den Kindern in der Pandemiezeit wirkt noch nach. Dabei sind Kinder die Zukunft! Sie und ihre Familien müssen unbedingt einen höheren Stellenwert in der Politik und der Gesellschaft bekommen. Dieses Signal, dass Kinder und Familien eine hohe Wertschätzung genießen und einen sicheren Rückhalt haben, muss kommen!“

Hintergrund: Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland ist im Jahr 2022 mit rund 104.000 gemeldeten Fällen um 9,9 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen, nachdem im Jahr 2021 mit 94.600 Fällen der niedrigste Stand seit Beginn der Statistik verzeichnet worden war. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, lag die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche damit auch über dem Niveau der Jahre 2014 bis 2020, als die Zahl der gemeldeten Fälle stets zwischen rund 99.000 und 101.000 gelegen hatte. Höher als im Jahr 2022 war die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zuletzt im Jahr 2012 mit 106.800 Fällen. Anhand der vorliegenden Daten lässt sich bislang keine klare Ursache für die starke Zunahme im Jahr 2022 erkennen.
Die Anzahl der Abbrüche in Sachsen 2022 (5.515) ist etwa auf dem zahlenmäßigen Niveau von 2017 (5.580) und unter dem Niveau der Jahre (von 1991) bis 2012 (5.594)
Die Anzahl der Beratungen im Schwangerschaftskonflikt in den Schwangerenberatungsstellen der Diakonie Sachsen sind in den letzten Jahren relativ konstant geblieben (2022:1.643; 2021: 1.566; 2020: 1.683)