Pressemitteilungen vom 12.06.2023

WENN AM ENDE DES GELDES NOCH VIEL MONAT ÜBRIGBLEIBT – VERARMUNG NIMMT ZU

Statistische Erhebung zur Lebenslage / Bericht 2023 der sozialen Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung
„Die Inflation trifft zwar alle – alle spüren, dass sich die meisten Grundnahrungsmittel, Energie, Bekleidung und Mieten etc. enorm verteuert haben. Für Haushalte mit knappem Einkommen, wie Familien, Geringverdienende und die Bezieher*innen von Transferleistungen, heißt das aber, dass am Ende des Geldes noch viel Monat übrig ist, für Sozialleistungsbezieher wird diese Zeitspanne meist noch viel länger. Und wer keine finanziellen Ressourcen hat, um die Lebenshaltungskosten zu stemmen, gerät rasch in eine Schuldenspirale. Derzeit machen sich viele Menschen große Sorgen und wir spüren das in den Beratungsstellen, wo der Beratungsbedarf deutlich zunimmt“, sagt Rotraud Kießling, zuständige Referentin bei der Diakonie Sachsen, anlässlich der Veröffentlichung des diesjährigen Berichtes der diakonischen Schuldnerberatungsstellen.

Der Bericht vollzieht diesen Verarmungsprozeß nach: Deutlich zugenommen hat die prekäre Lage der Angestellten und Selbstständigen mit Lohn, Gehalt beziehungsweise Einkommen aus selbstständiger Arbeit. Mit 40 Prozent (Vorjahr: 34 Prozent) bilden sie nun zum zweiten Mal in der 31jährigen Geschichte der diakonischen Schuldnerberatung in Sachsen die größte Gruppe der Ratsuchenden. Hinzu kamen mit 5 Prozent sogenannter „Aufstocker“, die ergänzend zu ihrem eigenen Einkommen SGB-II-Leistungen beziehen müssen. Leistungsberechtigte von Arbeitslosengeld II standen mit 29 Prozent an zweiter Stelle.  „Dass Sozialleistungen (Sozialhilfe/SGB II-Leistungen ehemals „Hartz IV“) nicht vor Überschuldung schützen, weil die einzelnen im Regelsatz enthaltenen Bestandteile – wie z. B. die veranschlagten Kosten für Energie, Lebensmittel oder Mobilität – in keiner Weise dem tatsächlichen Bedarf entsprechen, ist nicht neu. Es hat sich dramatisch weiter verschärft, was zwangsläufig zu Überschuldung führt. Aber dass jetzt zunehmend Menschen in Arbeit nicht mehr in der Lage sind, ihre monatlichen Fixkosten zu begleichen, zeigt, dass Mietpreisentwicklung, Energiepreissteigerungen und Inflation die soziale Schieflage weiter vorantreiben und die ungleiche Verteilung der Vermögen weiter zugenommen hat“, interpretiert Kießling die neuen diakonischen Zahlen. Infolgedessen sei der Anteil der Familien, Alleinerziehenden sowie Paaren mit Kindern weiter auf 31 Prozent gestiegen, die Lebenslagen von Familien in Sachsen habe sich weiter verschlechtert. „300 Kinder mehr als im letzten Jahr, nämlich 1153, wurden miterfasst. Dies bedeutet für diese Kindern Ausgrenzung und reale Armut fast von Lebensbeginn an. Zu welcher Verzweiflung, Resignation und Hoffnungslosigkeit dies führt, zeigt sich täglich in den Schuldnerberatungsstellen.“

Für Kießling gibt daher das diesjährige Motto der Aktionswoche Schuldnerberatung vom 12. Juni bis 16. Juni 2023 „Was können wir uns noch leisten? – Überschuldungsrisiko Inflation“ die Stimmung in den Beratungsstellen sehr gut wieder. „Im Rahmen der leider nicht verbesserten Personalsituation heißt das, dass trotz der immer weiter steigenden Nachfrage nicht mehr Menschen beraten werden können – im Jahr 2022 wurden in 19 Standorten 3538 Fälle bearbeitet. Das heißt, die Wartezeiten sind lang und betragen teils mehrere Wochen bis Monate.“ Kießling unterstützt daher die Forderungen der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung. „Wir brauchen einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung und einen bedarfsgerechten Ausbau, der bei uns in Sachsen mindestens das Doppelte betragen müsste“, sagt sie.

Unbezahlte Rechnungen, Mahnverfahren und vor allem drohende Energiesperren: Das belastet Verbraucher*innen, und auf viele kommt das womöglich zum ersten Mal zu. „Gerade Menschen, die keinerlei Erfahrung mit Gläubigerschreiben, Inkassounternehmen und gerichtlichen Schreiben haben, brauchen dringend Beraterinnen und Berater, die ihnen erklären, Mut machen, Perspektiven aufzeigen und Lösungen entwickeln. Unser Bericht zeigt, dass für bestimmte gesellschaftliche Gruppen die derzeit geltenden Rahmenbedingungen völlig unzureichend sind. Das gilt für die sozialen Sicherungssysteme des SGB II (jetzt Bürgergeld) und SGB XII, die mit der tatsächlichen Entwicklung nicht mitgehen, für den Zugang zu bezahlbarem Wohnraum, für den Umgang mit Energiesperren, Zwangsräumungen oder den Zugang zu Gesundheitsleistungen bei Krankenkassenschulden ebenso wie für unkomplizierte Befreiungen von Rundfunkgebühren und die nach wie vor ausstehende Kindergrundsicherung“, so Kießling abschließend.

Hintergrund: Seit knapp 30 Jahren bieten die 19 Schuldnerberatungsstellen der Diakonie Sachsen soziale Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung (SB) und damit individuelle Beratung für überschuldete und von Überschuldung bedrohte Menschen an.  Im Berichtsjahr lag die Kapazität bei 23,05 Vollzeitstellen und war damit so hoch wie im letzten Jahr. Den vollständigen Bericht der

Diakonischen Schuldnerberatungsstellen finden Sie als pdf-Datei hier.

Weitere Informationen: Rotraud Kießling, Tel.: 0351/8315-178