Pressemitteilungen vom 23.11.2023

Ist die Wohnung erst einmal verloren, ist alles verloren!

Wohnungslosigkeit vermeidenLebenslagenbericht 2023 der diakonischen Wohnungsnotfallhilfe

Seit zwei Jahren werden in Deutschland jeweils zum Stichtag 31. Januar wohnungslose Menschen gezählt. Demnach waren in Sachsen am 31. Januar 2022 1.665 wohnungslose Personen in Notunterkünften bzw. stationären Einrichtungen untergebracht. Ihre Zahl hat sich innerhalb eines Jahres auf 2935 (2023) erhöht. Wer auf der Straße lebte, ohne jeden Schutz und Raum, oder wer kurzzeitig bei Freunden und Bekannten unterkam (verdeckt Wohnungslose) wurde dabei nicht erfasst.
„Das heißt,“ kommentiert Rotraud Kießling, zuständige Referentin, anlässlich der Veröffentlichung des Lebenslagenberichtes der Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie, „dass wir kein ausreichendes System haben, das Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit wirkungsvoll verhindert. Schon zwei Monate Mietrückstand oder nicht gezahlte Betriebskostenrechnungen reichen aus – und die Wohnung ist weg. Eine neue finden, ist angesichts explodierender Mieten, fehlender Sozialwohnungen und bezahlbaren Wohnraums kaum möglich. Aufgrund dieser katastrophalen Situation auf dem Wohnungsmarkt stürzen Betroffene dann in die Obdachlosigkeit. Deshalb ist nichts wichtiger, als drohende Wohnungslosigkeit zu vermeiden. Daher muss die präventive Arbeit der Wohnungsnotfallhilfe dringend ausgebaut werden. Bisherige Kapazitäten reichen nicht aus!“
Kießling weist darauf hin, dass mehr als die Hälfte der 3108 Ratsuchenden, die im Jahre 2022 die Einrichtungen der diakonischen Wohnungsnotfallhilfe aufgesucht haben, bereits wohnungslos (obdachlos), also ohne ein vertraglich geregeltes Mietverhältnis gewesen sind. Elf Prozent hielten sich ungeschützt auf der Straße auf, sie „machten Platte“. „Rechtlich gesehen hat jede Kommune eine Unterbringungspflicht für Betroffene. Niemand muss auf der Straße leben. Aber der Zugang zu gesetzlich verankerter Hilfe – Leistungen der Wohnungsnotfallhilfe – ist oft nur durch umfangreiche Antragstellung möglich. Dabei erfordern Hilfen nach § 67 SGB XII überhaupt keinen Antrag. Das Bekanntwerden der Notlage beim Sozialamt ist ausreichend. Hier werden unnötige Hürden eingezogen, die Notwendiges „ohne Not“ verzögern“, sagt Kießling.
Weitere 18 Prozent der Klientinnen und Klienten standen direkt und unmittelbar vor dem Verlust ihrer Wohnung. Hier werde alles getan, um die Wohnung doch noch zu retten.
Der Anteil der beratenen Frauen betrug – identisch zum Vorjahr – ca. 30 %. Nach wie vor betraf die Notlage hauptsächlich Männer bzw. nahmen Männer häufiger das Hilfeangebot in Anspruch. Die meisten Hilfesuchenden waren alleinstehend. Somit erhielten prozentual doppelt so viele Personen Unterstützung in der Wohnungsnotfallhilfe wie es dem Anteil Alleinstehender in der sächsischen Bevölkerung eigentlich entspräche. Alle anderen Haushaltsstrukturen wie Paare mit oder ohne Kinder waren hingegen in den hier genannten Hilfeangeboten unterrepräsentiert.
Etwa jeder achte Hilfesuchende (12 %) hatte trotz der erschwerten Lebenslage der Wohnungsnot eine Festanstellung oder befand sich in Ausbildung bzw. in einer Maßnahme zur Arbeitsmarktintegration. Für 10 % war die Frage der Erwerbstätigkeit aufgrund z. B. des Alters oder wegen einer Behinderung nicht relevant.
„Unsere jährliche Erhebung ist ohnehin nur ein Ausschnitt aus der Gesamtsituation in Sachsen, weil ausschließlich die Zahlen diakonischer Träger erfasst werden“, sagt Kießling. Um eine weitere Zunahme von Wohnungsnotfällen zu vermeiden, fordert die diakonische Wohnungsnotfallhilfe mehr Prävention auf allen Ebenen:

  • Präventionsangebote müssen aus- bzw. aufgebaut werden.
  • Oftmals verunmöglichen schon eine fehlende Mietschuldenfreiheitsbescheinigung, ein negativer Schufa-Eintrag oder bereits der Bezug von SGB-II-Leistungen (Bürgergeld) ein Mietverhältnis. Hier müssen kommunale Belegungsrechte gerade diesem Personenkreis einen Zugang sichern.
  • Die Einführung der Mietpreisbremse 2022 in Dresden und Leipzig ist zu begrüßen, bedarf aber intensiverer Überprüfung. Auch in anderen Städten und Gemeinden ist eine ungebremste Mieterhöhung zu stoppen.
  • Wenn die Angemessenheitsgrenzen für die Kosten der Unterkunft (KdU) zu niedrig angesetzt sind, können SGB-II-Leistungsberechtigte (Bürgergeld-Beziehende) entweder die Wohnung nicht beziehen, oder sie müssen – wenn sie schon Mieter sind – die Differenz aus den Mitteln des Regelsatzes selbst bezahlen. Auch die darin berechneten Energiekosten entsprechen in keiner Weise den tatsächlichen Kosten. Diese sind anzuheben bzw. im Rahmen der KdU in realer Höhe zu übernehmen.
  • Unionsbürgerinnen und Unionsbürger machen einen Teil der wohnungslosen Menschen aus. Ihnen ist der Zugang zu den sozialen Leistungen und zu Unterbringungsmöglichkeiten zu sichern. 
  • Keine Entlassung in die Wohnungslosigkeit: Noch immer werden Menschen aus der Haft, dem Maßregelvollzug oder dem Krankenhaus direkt in die Wohnungslosigkeit entlassen. Das muss durch den rechtzeitigen Kontakt zum Hilfesystem unbedingt verhindert werden.
  • Nach wie vor stagniert der Neubau von Sozialwohnungen – die sächsischen Richtlinien zum sozialen Wohnungsbau bzw. zur Sanierung von Wohnraum müssen endlich umgesetzt und weiterentwickelt werden.

Wenn in diesen Tagen die Kältehilfe der Wohnungsnotfallhilfe und die Nacht-Cafes starten, appelliert die Diakonie Sachsen an alle Verantwortlichen in Städten und Gemeinden, für eine ausreichende Zahl an Übernachtungs- und Aufenthaltsplätzen für wohnungslose Menschen zu sorgen!

Weitere Informationen: Rotraud Kießling, Tel.: 0351/8315-178

Hintergrund: Die Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie Sachsen bietet Hilfe für wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen in verschiedenen Formen auf Grundlage von §§ 67 ff. SGB XII an: Dazu gehören acht Kontakt- und Beratungsstellen, aber auch sechs Tagesaufenthalte mit Möglichkeiten zur Tagesstrukturierung, Gelegenheit zum Wäschewaschen, Trocknen, zur Körperpflege oder auch zur Zubereitung von warmen Mahlzeiten. Darüber hinaus bieten Einrichtungen Übernachtungs- und Wohnmöglichkeiten oder betreutes Wohnen sowie Straßensozialarbeit an.

Die aktuelle Lebenslagenerhebung ebenso ein factsheet mit den wichtigsten Informationen sowie eine Übersicht über die Kältehilfe der Diakonie Sachsen finden Sie hier.