… steht vor dem aus!
Für die verschiedenen Angebote der Migrationsberatung stehen mit dem Entwurf des Bundeshaushaltes 2024 Kürzungen von 30 bis 50 Prozent im Raum. Die Folgen wären dramatisch: Künftig würde nur noch die Hälfte des bisherigen Angebots diakonischer Arbeit in der Migrationsberatung zur Verfügung stehen. Schon heute begleitet jeder Mitarbeitende in den Migrations- und Jugendmigrationsberatungsstellen bis zu 300 Ratsuchende. Diese Situation wird sich durch den Anstieg der Asylsuchenden noch weiter verschärfen.
„Bereits jetzt entsprechen die Beratungskapazitäten nicht dem Bedarf. Die geplanten Kürzungen sind angesichts dessen absolut kontraproduktiv, kurzsichtig und werden der Gesellschaft teuer zu stehen kommen“, ist sich Dietrich Bauer, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Sachsen, sicher.
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Aus für das Programm Respekt Coaches
Aufgrund der angekündigten Kürzungen muss die Arbeit der Respekt Coaches (RC) zum Jahresende 2023 eingestellt werden. Das Programm ergänzt bisher die Arbeit der Jugendmigrationsdienste um Demokratiebildung und Extremismus-Prävention an Schulen. Über 400 Fachkräfte begleiten Jugendliche an rund 600 Schulen bundesweit. 2022 nahmen rund 160.000 junge Menschen an 3.800 Gruppenangeboten teil. Bei der Diakonie Meißen gab es seit August 2021 zwei Respekt Coaches, die im Landkreis Meißen speziell an der Pestalozzi-Oberschule in Meißen aktiv waren. 2023 wurden bisher 496 Schüler*innen erreicht.
Eine geordnete Abwicklung des Programms ist wegen der Kurzfristigkeit nicht möglich. „Wenn das Projekt zum Jahresende eingestellt wird, endet unsere Tätigkeit an der Schule. Das bedeutet zum einen weniger Bildung zu Themen wie Demokratie, Migration und Medienkompetenz, aber auch den Wegfall von präventiver Arbeit in den Bereichen Mobbing, Toleranz, Respekt und Solidarität“, sagt Maren Bewilogua, bisher Respekt Coach der Diakonie Meißen. Im Rahmen des Programms entstanden umfangreiche Projekte in den Schulen, die durch die Coaches organisatorisch und inhaltlich umgesetzt und auch finanziell durch das Programm unterstützt wurden. Vor diesem Hintergrund bedauert auch der Landkreis das Ende des Programms. Für die beiden Respekt Coaches geht es im Bereich Migration der Diakonie Meißen weiter. Künftig werden sie die Flüchtlingssozialarbeit im Landkreis unterstützen.
Kürzungen bedroht Arbeit der Jugendmigrationsdienste
Eine weitere Stelle, die von den geplanten Kürzungen bedroht ist, ist die von Oxana Wander. Sie ist die einzige Mitarbeiterin des Jugendmigrationsdienst (JMD) im Vogtlandkreis. Zu ihr kommen Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene mit Migrationshintergrund zwischen 12 bis 27 Jahre.
Die Beratung ist unabhängig vom Aufenthaltsstatus, solange sie sich rechtmäßig oder aufgrund einer ausländerrechtlichen Duldung in Deutschland aufhalten. Aber auch Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund können sich an die Beratungsstelle wenden. Hintergrund sind oft Fragen zur (Aus-)Bildung ihrer Kinder. Eine weitere Aufgabe ist die Zusammenarbeit mit Initiativen und Institutionen, die für den Integrationsprozess junger Migrantinnen und Migranten relevant sind. Dies schließt auch die Bevölkerung im Lebensumfeld der jungen Menschen ein. Rund 222.000 Menschen leben im Vogtlandkreis. Viel Arbeit für Oxana Wander.
„Viele der jugendlichen Migrantinnen und Migranten sind traumatisiert und benötigen Zuwendung und Unterstützung. Teilweise fallen neben den Kindern auch die Eltern aufgrund ihres Alters in die von uns zu betreuende Personengruppe“, berichtet die Diplom-Sozialpädagogin aus ihrem Arbeitsalltag. Ein Großteil der Menschen kommt momentan aus der Ukraine, Syrien und Afghanistan sowie aus EU-Ländern. In Anbetracht der jüngsten Entwicklung, z. B. die steigende Anzahl an geflüchteten unbegleiteten minderjährigen Ausländern (UMA), wird sich der Bedarf an Beratungsleistungen eher erhöhen. Frau Wander ist momentan schon an ihrer Belastungsgrenze angekommen. Wie das bei einer Kürzung der Bundesmittel für die Migrationsarbeit weitergehen soll, ist schwer vorstellbar. Kraft geben ihr Geschichten wie die von Ilja. „Im März 2022 kam der 18jährige Ilja gemeinsam mit seiner Mutter, seiner Schwester und seiner Tante aus der Ukraine nach Plauen. Schnell suchte die Familie Unterstützung bei uns. Wir halfen ihnen bei der Wohnungseinrichtung und vor allem bei den vielen Formalitäten. Für beide Kinder organisierten wir Plätze am Gymnasium in Plauen. Die Mutter Olga litt sehr unter Heimweh und hatte Sehnsucht nach ihrem Mann. Inzwischen ist sie mit ihrer Tochter in die Ukraine zurückgekehrt. Ilja wird weiter von uns begleitet und unterstützt, denn er hat einen großen Traum, für den er in Deutschland bleiben will: Lokführer werden. Damit dieser Traum in Erfüllung gehen kann, haben wir Ilja beim Beantragen eines Sprachkurses geholfen. Nach erfolgreichem Abschluss im kommenden Frühjahr werden wir Ilja bei der Suche nach seinem Wunsch- Ausbildungsplatz helfen“, erzählt Oxana Wander.
Ohne Menschen wie Frau Wander vom JMD Vogtlandkreis würde Integration nicht funktionieren. Die Jugendlichen brauchen fachkundige, unbürokratische und persönliche Hilfe. Und sie brauchen eine kontinuierliche Begleitung, weil sie ständig mit neuen Anforderungen und Formularen in einer für sie noch fremden Sprache konfrontiert werden. Eine erfolgreiche und gute Integration gelingt nur durch beständige Beratung, Begleitung und Unterstützung. Damit dies auch künftig möglich ist, muss das Beratungsangebot ausgebaut und darf nicht gekürzt werden. [Foto Böhm/Ilja]
Garantiefonds Hochschule – Das Ende einer Erfolgsgeschichte?
Und ein weiteres Projekt steht auf der Kippe: Wenn die Kürzungen des Bundeshaushaltes wie geplant umgesetzt werden, wird es künftig keine Beratung und Förderung durch die Bildungsberatung „Garantiefonds Hochschule“ mehr geben. Deutschlandweit gibt es kein vergleichbares Programm zur Studienvorbereitung. Harald Flemmig vom Leipziger Verein Naomi e.V. und sein Team unterstützen junge Zugewanderte, damit sie ihre im Herkunftsland unterbrochene akademische Ausbildung in Deutschland fortsetzen können.
Vom Büro in Leipzig werden die Beratungen in Sachsen, Thüringen und Süd-Sachsen-Anhalt koordiniert. Regelmäßig finden auch mobile Beratungen statt. 2022 wurden über 800 Einzelberatungen mit 367 Personen durchgeführt.
Das Potential dieser gut ausgebildeten und motivierten Menschen würde mit Projektende verloren gehen. Ein Beispiel, was im Projekt bewirkt wird, zeigt der Werdegang der 24-Jährigen Jiyan aus Iran. „Jiyan kam 2017 nach Deutschland, weil sie in ihrer Heimat als politisch aktive Frau verfolgt wurde. Sie kontaktierte uns, weil sie ihr Informatik-Studium weiterführen wollte. Dank der Förderung des Garantiefonds Hochschule besuchte sie den geforderten, studienvorbereiteten Sprachkurs. Unsere Bildungsberatung begleitete sie eng und unterstützte bei der Bewerbung an geeigneten Hochschulen. 2019 erhielt sie einen Studienplatz an der Hochschule Mittweida. Mit unserer Hilfe stellte sie einen Antrag auf BAföG. Nach ihrem erfolgreichen Abschluss im Jahr 2022 erhielt sie 100 Jobangebote. Eine echte Erfolgsgeschichte“, freut sich Flemmig.
Der Wegfall des Projektes wäre auf dem Hintergrund des Chancen-Aufenthaltsrechts, politisch forcierter sowie gesellschaftlich notwendiger Fachkräftezuwanderung und Änderungen im Einbürgerungsrecht ein fatales Signal. Die gesellschaftlichen Folgekosten sind immens, wenn sich zugewanderte Studierende als Hilfsarbeiter*innen durchschlagen müssen.
Dass die Mittel für die Psychosozialen Zentren für Traumatisierte um die Hälfte gekürzt werden sollen, hält Diakonie-Chef Dietrich Bauer für gefährlich: „Die psychologische Versorgung von Menschen mit Kriegs-, Folter- und Fluchterfahrungen ist absolut entscheidend, wenn ihr Leben hier in Deutschland gelingen soll. Sie brauchen diese Hilfe.“
“Wer heute kürzt, zahlt morgen drauf!”
Die geschilderten Geschichten machen deutlich: „Wer heute kürzt, zahlt morgen drauf!“. Migration, Jugendmigration und Demokratiebildung müssen vielmehr gestärkt werden, um Integration vor Ort zu begleiten und Ratsuchenden ein schnelles Ankommen in Deutschland zu ermöglichen. Nur so kann eine Integration in Schule, Ausbildung oder in den Arbeitsmarkt gelingen. Die Kürzungen des Bundeshaushaltes sind insbesondere in der jetzigen Situation ein falsches Signal und schwächt die ohnehin fragilen Hilfestrukturen.
Text: Nora Köhler
Fotos: Annelie Brux, Tobias Ritz, Diakonie Meißen, Diakonie Auerbach, Naomi e. V.