Die Diakonie Sachsen warnt vor den sozialen Folgen der geplanten Bürgergeld-Reform und sieht in der geplanten Verschärfung der Sanktionen ein Risiko für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, besonders in strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands.
Die Diakonie Sachsen sieht die Einigung von SPD und Union zur Reform des Bürgergeldes kritisch. Maßnahmen wie gezielte Förderung und frühzeitige Beratung sind wichtige Fortschritte, greifen aber zu kurz, solange restriktive Sanktionen im Vordergrund stehen. Diese treffen nicht nur Einzelpersonen, sondern könnten auch ganze Bedarfsgemeinschaften belasten. Kinder oder Partner, die keine Pflichtverletzungen begangen haben, müssten dabei geschützt werden. „Was in Berlin entschieden wird, spüren die Menschen in Sachsen unmittelbar“, sagt Dietrich Bauer, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Sachsen. „In Regionen mit hoher Armutsquote, niedrigen Löhnen und unsicheren Beschäftigungsverhältnissen droht die geplante Reform, das Vertrauen in den Sozialstaat weiter zu untergraben.“
In Sachsen gab es im September 2025 rund 148.000 arbeitslose Menschen. Viele sind langzeitarbeitslos, alleinerziehend, pflegend oder gesundheitlich eingeschränkt und benötigen individuelle Unterstützung.
Individuelle Förderung und wohlwollender Druck statt Sanktionsandrohung
Marko Hietzke, Referent für Arbeitsförderung bei der Diakonie Sachsen, verweist auf die Erfolge sozialer Arbeitsmarktprojekte: „Langfristige, individuell angepasste Maßnahmen zeigen, dass Menschen mit komplexen Lebenslagen schrittweise und erfolgreich in Arbeit integriert werden können. Zusätzliche Sanktionen lösen keine Probleme.“ Ganz ohne Druck geht es jedoch nicht. In einer im Juli 2025 veröffentlichten Arbeitsmarktstudie „Arbeit lohnt sich immer“ wird von wohlwollendem Druck gesprochen. Der Übergang in den ersten Arbeitsmarkt muss im Rahmen individueller Fallarbeit aktiv angegangen und sensibel begleitet werden. „Wer Menschen zu stark unter Druck setzt, gefährdet ihren ohnehin fragilen Alltag und die Strukturen, die sie stützen.“
Bewährte Qualifizierungsprojekte, Sozialkaufhäuser oder Tafeln sind nicht nur Orte der Beschäftigung, sondern Teil der sozialen Daseinsvorsorge. „Diese Projekte brauchen eine verlässliche Finanzierung, damit sie beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nachhaltig helfen können“, so Hietzke.
Wohnungsnot verschärft soziale Lage
Die soziale Sprengkraft der geplanten Reform zeigt sich besonders angesichts des angespannten sächsischen Wohnungsmarktes. Viele Menschen kämpfen mit steigenden Wohnkosten, die von den Jobcentern nur unzureichend übernommen werden. Schon heute müssen Bürgergeldbeziehende anteilig Kosten für Miete und Energie aus ihrem ohnehin knappen Regelsatz aufbringen. Diese Praxis verschärft sich, wenn Leistungskürzungen dazukommen.
Der jüngste Bericht der Diakonie-Wohnungsnotfallhilfe zeigt, dass die Zahl der Menschen in akuter Wohnungsnot weiter steigt: 3.439 Personen suchten im vergangenen Jahr Unterstützung in den diakonischen Beratungsstellen. Fast die Hälfte von ihnen war bereits wohnungslos, weitere 30 Prozent standen kurz davor. Rotraud Kießling, Referentin für Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie Sachsen mahnt: „Wenn die Grundsicherung nicht mehr vor Wohnungsverlust schützt, läuft prinzipiell etwas falsch. Kürzungen beim Bürgergeld wirken kontraproduktiv, gefährden Existenzen und das Ziel der Bundesregierung, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden.“
Die Diakonie Sachsen sieht darin nicht nur eine sozialpolitische Schieflage, sondern auch eine mögliche Verletzung des verfassungsrechtlich garantierten menschenwürdigen Existenzminimums.
Vertrauen in den Sozialstaat bewahren
Der Wohlfahrtsverband fordert die Bundesregierung auf, an der Grundidee des Bürgergeldes als Förderleistung festzuhalten, das die Würde und die Selbstbestimmung der Menschen in den Mittelpunkt stellt. Der Paradigmenwechsel weg von Misstrauen und Druck, hin zu Unterstützung und Vertrauen, dürfe nicht rückgängig gemacht werden. „Wenn nun wieder Strafen und Leistungskürzungen in den Vordergrund rücken, werden Menschen verunsichert und ausgegrenzt, statt gestärkt“, so Bauer. „Das ist sozialpolitisch falsch und widerspricht unserem Verständnis von sozialer Verantwortung.“
Notwendig seien statt neuer Sanktionen eine armutsfeste Grundsicherung, Investitionen in langfristige Qualifizierungsprojekte und eine Sozialpolitik, die Familien stärkt und Wohnungslosigkeit verhindert. „Soziale Sicherheit ist kein Kostenfaktor, sondern die Basis unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts“, betont Bauer. Auch die Kommunen in Sachsen seien von den Folgen betroffen: steigende Notlagen, finanzielle Mehrbelastungen, überlastete Beratungsstellen und wachsender gesellschaftlicher Unmut.
Die Diakonie Sachsen verweist zudem auf die besondere Situation in Ostdeutschland. „In Regionen, die seit Jahrzehnten um Teilhabe und Anerkennung ringen, ist das Vertrauen in soziale Sicherheitssysteme essenziell – sonst verliert die Demokratie an Boden“, warnt Bauer.
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