Wahlergebnisse können ein Indikator dafür sein, welche Einstellungen Menschen in Deutschland oder Sachsen haben. Sozialwissenschaftliche Studien der Einstellungsforschung können uns aber deutlich genauer Auskunft darüber geben, welche Einstellungen Menschen in unserer Gesellschaft haben. Dabei werden unter anderem auch die Einstellungen zu den Facetten der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit abgefragt und die Ergebnisse zeigen uns, wie weit verbreitet menschenverachtende Einstellungen in unserer Gesellschaft sind.
Die Mitte-Studie ist eine umfangreiche Untersuchung, die von der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführt wird. Ziel dieser Studie ist es, Einstellungen, Werthaltungen und politische Orientierungen der Bevölkerung in Deutschland zu erfassen, insbesondere im Hinblick auf Themen wie Demokratie, Rechtsextremismus, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Nationalismus und soziale Gerechtigkeit. Die Studie wird in regelmäßigen Abständen durchgeführt und basiert auf umfangreichen Umfragen, die die deutsche Bevölkerung repräsentativ abbilden. Die Ergebnisse der Mitte-Studie bieten Einblicke in die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland und dienen als Grundlage für politische Entscheidungsträger, Wissenschaft und andere Gruppen. Die letzte Mitte-Studie wurde 2023 veröffentlicht. Folgend soll nun ein kleiner Einblick in zentrale Ergebnisse der Studie gegeben werden.
Die Werte der Umfrage für die Facetten der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit waren verheerend: 34 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass Geflüchtete nur nach Deutschland kämen, um das Sozialsystem auszunutzen und brachten damit Rassismus zum Ausdruck. Auch die Zustimmungswerte für antisemitische Aussagen waren hoch: 16,5 Prozent unterstellen jüdischen Menschen, heute ihren Vorteil aus der Vergangenheit des Nationalsozialismus ziehen zu wollen. Insgesamt ist ein Ergebnis der Mitte-Studie, dass Formen von Abwertungen und Vorurteilen zunehmen. 17 Prozent der befragten Personen machen die Identität von Trans*Menschen verächtlich und rund 11 Prozent fordern, Frauen sollen sich wieder mehr auf die Rolle als Ehefrau und Mutter besinnen. Auch die Abwertung von langzeitarbeitslosen Menschen ist groß: 35 Prozent der Befragten vertraten die Meinung, Langzeitarbeitslose würden sich auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machen.
Ein weiteres Ergebnis der Mitte-Studie ist, dass jede zwölfte Person in Deutschland ein rechtsextremes Weltbild teilt. Der Anstieg der Werte im Vergleich zur vorhergehenden Mitte-Studie sind frappierend: In den Studien zuvor hatten 2 bis 3 Prozent der Menschen eine klar rechtsextreme Orientierung. Nun ist der Wert auf 8 Prozent angestiegen. Dabei befürworten mittlerweile über 6 Prozent eine Diktatur mit einer einzigen starken Partei und einem Führer für Deutschland. Über 16 Prozent behaupten eine nationale Überlegenheit Deutschlands, fordern »endlich wieder« Mut zu einem starken Nationalgefühl und eine Politik, deren oberstes Ziel es sein sollte, dem Land die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zustehe. Zudem vertreten die Befragten mit fast 6 Prozent vermehrt sozialdarwinistische Ansichten und stimmen zum Beispiel der Aussage zu „Es gibt wertvolles und unwertes Leben.“. Die politische Selbstverortung befragten Menschen hat rechts der Mitte mit 15,5 Prozent ebenfalls von zuvor knapp 10 Prozent deutlich zugenommen.
Diese Ergebnisse sind erschreckend, aber die Wirklichkeit, in der wir leben und arbeiten. Eine ähnliche Erhebung gibt es auch für den Freistaat Sachsen. Der Sachsen-Monitor untersucht eine breite Palette von Themen, die die Gesellschaft in Sachsen betreffen, darunter politische Einstellungen, soziale Identität, Integration, Bildung, Arbeitsmarkt, Gesundheit und Kultur. Durch regelmäßige Umfragen und Analysen werden Daten gesammelt, um Veränderungen in den Einstellungen, Meinungen und Lebensbedingungen der Menschen in Sachsen im Laufe der Zeit zu dokumentieren und zu verstehen. Der Sachsen-Monitor wird von der Staatskanzlei in Auftrag gegeben und von einem Beirat begleitet. Der letzte Sachsen-Monitor wurde im Jahr 2023 erhoben.
Ein Ergebnis der Umfrage ist, dass auch in Sachsen menschenfeindliche und nationalistische Einstellungen in der Bevölkerung in einem erheblichen Ausmaß zugenommen haben. Abwertende Einstellungen gibt es insbesondere gegenüber Ausländern: 64 Prozent der Bürger empfinden Deutschland als „durch Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“ (das sind plus 24 Prozentpunkte im Vergleich zum Sachsen-Monitor 2021/22), die eigene Umgebung nehmen 30 Prozent als „überfremdet“ wahr (plus 21 Prozentpunkte). Menschenfeindliche Haltungen haben weiterhin stark zugenommen gegenüber Langzeitarbeitslosen (66 Prozent, plus 15 Prozentpunkte), Muslimen (54 Prozent, plus 16 Prozentpunkte), Sinti und Roma (46 Prozent, plus 11 Prozentpunkte) sowie gleichgeschlechtlich lebenden Menschen (30 Prozent, plus sieben Prozentpunkte). 18 Prozent der Sachsen stimmen der antisemitischen Aussage „Juden haben zu viel Macht in der Welt“ zu (plus zwei Prozentpunkte).
Die Befunde sind mehr als beunruhigend und stehen unseren Positionen auf Grundlage unserer christlich-diakonischen Werte diametral gegenüber. Aber nicht nur die Ergebnisse im Bereich der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sind erschreckend. Sorge bereitet auch das verlorene Vertrauen in Institutionen: Das Vertrauen der Menschen in Sachsen in die demokratischen Institutionen hat gegenüber 2021/22 erheblich abgenommen.
Nur noch 44 Prozent der Menschen vertrauen der sächsischen Staatsregierung – bei der Umfrage 2021/22 waren es noch 53 Prozent. Am meisten Vertrauen verloren haben der Sächsische Landtag (minus acht Prozentpunkte) und der Bundestag (minus 20 Prozentpunkte). Demgegenüber hat die Bundesregierung (minus 21 Prozentpunkte) verloren. Stärkere Vertrauensverluste verzeichnen zudem die Parteien im Allgemeinen (zehn Prozent gegenüber 22 Prozent 2021/22) und die Medien (15 Prozent gegenüber 26 Prozent).
Das größte Vertrauen hat die sächsische Bevölkerung in die Polizei (65 Prozent), in die Wissenschaft (64 Prozent), die Gerichte (56 Prozent) und das Bundesverfassungsgericht (54 Prozent).
Auch das Vertrauen in Kirche hat weiterhin abgenommen. Nur noch 20 Prozent der Befragten haben „sehr großes“ oder „großes Vertrauen“ in die Kirchen – 79 Prozent haben wenig oder gar kein Vertrauen. Bei den Menschen, die sich in der Umfrage selbst als christlich bezeichnet haben, ist das Vertrauen größer (40 Prozent) als bei den Menschen, die sich als konfessionslos bezeichnet haben (11 Prozent). Ein Ergebnis, das uns zu denken geben sollte, wollen wir als Kirche und Diakonie doch in die Gesellschaft wirken. Deshalb ist der Blick auf ein weiteres Ergebnis wichtig. Wir sind als Diakonie auch Arbeitgeberin. Wenngleich auch das Vertrauen in Arbeitgeber abgenommen hat, haben noch 47 Prozent der Befragten „sehr großes“ oder „großes Vertrauen“ in Arbeitgeber. Das bedeutet, dass das Wirken für die Demokratie und die Gleichheit aller Menschen, das Eintreten für unsere Werte und Positionen vor allem innerhalb der diakonischen Dienstgemeinschaft auf fruchtbaren Boden fallen kann.
Die Ergebnisse der „Mitte-Studie“ findet man zusammengefasst auf der Internetseite der Friedrich-Ebert-Stiftung (https://www.fes.de/referat-demokratie-gesellschaft-und-innovation/gegen-rechtsextremismus/mitte-studie-2023). Dort kann auch die gesamte Studie heruntergeladen werden.
Die Ergebnisse des „Sachsen-Monitors“ findet man zusammengefasst au der Internetseite der Sächsischen Staatsregierung. Dort können auch der Ergebnisbericht und die Stellungnahmen des Beirats heruntergeladen werden.