LASST EUCH DIE HERZEN NICHT VERHÄRTEN ...

3. Oktober 2020 ... ein diakonisches Wort zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit von Christine Rösch

„Lasst euch die Herzen nicht verhärten zur Zeit der Überheblichkeit.
Was wertvoll war, wird Gott bewerten mit Gnade und Barmherzigkeit.
Dass euch die Seele nicht verkrustet, schafft Christus selbst, der in uns wohnt.
Von dem ihr ahntet oder wusstet, dass jeder Tag mit ihm sich lohnt.“
(Text: A. Malessa)

So habe ich es nach der Wende gesungen. Und ich würde jetzt erst recht keine Zeile ändern, zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit.

Ich habe fast genau die Hälfte meines Lebens vor und nach der Wende gelebt. Bin in diesen und jenen Schuhen gelaufen. Musste mich damals verweigern, nicht nur politisch, auch dem Neid. Das zu lernen, war schmerzhaft, aber auch nützlich bis heute. Der Angst waren wir immer wieder sehr nah, ihr aber nicht endgültig ausgeliefert. Sich den Lügen, der Heuchelei und der Kumpanei zu widersetzen, strengte an - es machte unsere Freundschaften aber so fest, wie ich es nie wieder erlebt habe. Und unser Glaube: er trug uns im Streit. Er wuchs in der Not. Er probierte sich aus an den Misslichkeiten, auch am Mangel. Lebendig, streitlustig und auch hoffnungsvoll war es, heiß diskutierend am abendkalten Baggersee nach der Jungen Gemeinde. Oder später beim flehenden Gebet in der Sakristei vor den Friedensgebeten, wo die Kirche bis auf den letzten Stehplatz besetzt war, aber es auch genug „Hörer und Seher der anderen Art“ mittendrin gab. Es lag eine große Unruhe und eine kleine, aber stabile Zuversicht über den Monaten der Wende. Nie hatte ich die Verlässlichkeit der „Schwestern und Brüder“ nötiger als da.

Und nun lebe ich schon die zweite Hälfte im geeinten Deutschland. Ich nehme sie manchmal in die Hand, die Schuhe von damals. Sie passen noch, aber sie eignen sich nicht mehr. Und ich habe auch die ersten Lack-Schuhe der Einheitszeit ausgezogen, sie taugen längst nicht so viel wie angenommen. Und doch waren sie unentbehrliche Übergangsschuhe einer glanzvollen Zeit. Sie haben das Glück erlebt, als wir endlich mit den Westmusikern auf einer Bühne standen. Und unsere Verwandten lang genug besuchen konnten. Sie mussten gewechselt werden als einerseits der Ausverkauf begann und zugleich die zauberhaften neuen Möglichkeiten unseren Horizont (und Konsum) erweiterten. Und neulich stand ich wieder einmal barfuß zwischen den Welten der Erinnerung und der mir verbleibenden Zukunft. Und da war ein Leuchten der Dankbarkeit über dem zum Glück ewig gleichbleibenden Horizont der Zuständigkeit Gottes. Was wertvoll war, wird Gott bewerten - mit Gnade und Barmherzigkeit!

Christine Rösch