09.05.2022

Wohnungslose Menschen müssen wählen können

Appell an Innenminister Schuster: Verfassungswidrigen Zustand endlich beenden!

„Das demokratische Gleichheitsversprechen bedeutet, dass alle Mitglieder des Wahlvolks gleichberechtigt an Wahlen teilnehmen können. Doch für wohnungslose Menschen gilt dieses Versprechen nur sehr bedingt und sie müssen hohe Hürden überwinden, um es einlösen zu können. In Sachsen geht es gar nicht – zumindest gilt das für die anstehenden Kommunalwahlen am 12. Juni 2022!“  Rotraud Kießling, zuständige Referentin bei der Diakonie Sachsen, weist darauf hin, dass zwei sich widersprechende Gesetze den Zugang verhindern. „Einerseits räumt Artikel 4, Absatz 2 der Sächsischen Verfassung auch wohnungslosen Menschen das Wahlrecht ein, aber die  Sächsische Gemeindeordnung schließt sie wieder aus. Dort ist verankert, dass die Anmeldung einer Hauptwohnung drei Monate bestehen muss, um zur Wahl zugelassen zu werden. Wohnungslose Menschen können also seit Jahren in der Kommune leben, ggf. auch eine Postadresse in einer Beratungsstelle oder einem Tagestreff der Wohnungsnotfallhilfe haben, gelten aber nicht als Bürgerinnen und Bürger dieser Kommune, da sich die meisten Kommunen auf die SächsGemO beziehen, wenn sie ihre Wahlrechtsordnung erstellen!“ Eine Nachfrage beim Referat „Kommunalwahl“ des Sächsischen Innenministeriums hätte ergeben, „dass dies politischer Wille sei und es keine Handlungsmöglichkeit gebe, das zu ändern. Schließlich habe die letzte Kommunalrechtsreform im Februar 2022 trotz des bekannten Problems entschieden, dass „Obdachlose“ weiterhin nicht in das Wähler*innenverzeichnis aufgenommen und damit bewusst ausgeschlossen werden!“

Damit wird an einer Bestimmung festgehalten, die eindeutig als verfassungswidrig einzuschätzen ist. Die Diakonie hat gemeinsam mit anderen Wohlfahrtsverbänden bereits bei den letzten Kommunalwahlen 2019 darauf hingewiesen - geändert hat sich nichts. Ganz im Gegenteil, ist die verfassungswidrige Diskriminierung neu bekräftigt worden.

„Der neue Innenminister sollte das nicht länger hinnehmen. Denn es zeigt deutlich, dass die soziale Notlage der Wohnungslosigkeit, die ein ganzes Bündel von Menschenrechten betrifft wie Wohnen, Privatsphäre, Gesundheit, Schutz der Familie usw. nur weiterhin verwaltet werden soll. Wer nicht wählen darf, kann sich auch nicht für seine Sache einsetzen - nämlich den Zustand der Wohnungslosigkeit zu beenden und auch auf politischer Ebene für das Menschenrecht auf Wohnen kämpfen. Wenn sich die Politik nicht um die Themen der Wohnungslosen kümmert und gleichzeitig noch verhindert, dass sie sich selbst politisch um ihre Belange kümmern, dann wird die Politikverdrossenheit unter diesen Menschen weiter zunehmen“, so auch Dietrich Bauer, Chef der Diakonie Sachsen.

Die Diakonie appelliert daher an die neue Hausspitze des sächsischen Innenministeriums, sich für eine politische Beteiligung der betroffenen Menschen bei den anstehenden Kommunalwahlen einzusetzen.

Naheliegend sei eine einfache Lösung wie bei Landtags- und Bundestagswahlen: „Bei diesen Wahlen können sich wohnungslose Menschen vorher in das Wählerverzeichnis eintragen lassen – warum geht das bei Kommunalwahlen nicht?“ so Kießling abschließend. Ansonsten könnte eine vom Wahlrecht ausgeschlossene Person auch Klage gegen die entsprechende Wahl  erheben, um gerichtlich feststellen zu lassen, dass der Ausschluss rechtswidrig war.

Weitere Informationen: Rotraud Kießling, Tel.: 0351/8315-178.