08.09.2022

Diakonie Sachsen fordert Moratorium für Zwangsräumungen und Strom- und Gassperren

Lebenslagenbericht 2022 der diakonischen Wohnungsnotfallhilfe

„Nichts ist in diesen für einkommensarme Menschen so enorm schwierigen Zeiten wichtiger, als dass sie ihre Wohnung behalten und beispielsweise nicht aufgrund mangelnder Betriebskostenzahlungen gekündigt werden können! Die diakonische Wohnungslosenhilfe weiß aus jahrzehntelanger Erfahrung: Ist die Wohnung erst einmal verloren, bedarf es eines sehr großen Aufwands eine neue zu finden – abgesehen von dem immensen Stress, die das für die Betroffenen aber auch für das Hilfesystem bedeutet.  Daher sollte es in der jetzigen prekären Situation ein Moratorium auf Räumungsklagen und Zwangsräumungen geben. Solange Inflationsrate und Energiekosten derart steigen, darf niemand aus der Wohnung geklagt werden. Auch Strom- und Gassperren sollten für das kommende Jahr gesetzlich verboten werden. Im schlimmsten Fall müssten Menschen frieren und Kinder im Dunkeln ihre Schularbeiten machen! Und: Kommunale Belegungsrechte müssen bereits wohnungslosen Menschen trotz fehlender Mietschuldenfreiheitsbescheinigung, negativem Schufa-Eintrag oder dem Bezug von SGB-II-Leistungen („Hartz IV) den Zugang zu Wohnraum sichern.“

Dietrich Bauer, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Sachsen, hat aus Anlass des heute zum Tag der Wohnungslosen (Sonntag, 11. September) veröffentlichten aktuellen Lebenslagenberichts der diakonischen Wohnungsnotfallhilfe aber noch weitere Forderungen, um die Not wohnungsloser oder von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen zu mildern bzw. weitere Notlagen zu verhüten. Auch wenn das große Ziel der Bundesregierung, Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030 überwunden zu haben, erreicht werden soll, müsse mehr geschehen, als die Erfassung statistischer Zahlen. „Unsere aktuellen Zahlen aus den Hilfeangeboten sind ja nur ein Ausschnitt aus der Gesamtsituation in Sachsen. Sie sind unter den extrem erschwerten Bedingungen  der Pandemiebedingungen 2021 zustande gekommen und sie zeigen, dass weder die Angebote zur Prävention von Wohnungslosigkeit noch die Angebote der Wohnungsnotfallhilfe insgesamt ausreichend sind!“   

So stand knapp einem Viertel der 3018 Ratsuchenden der Verlust der Wohnung unmittelbar bevor.  Ein Teil von sechs Prozent lebte bereits in einem unzumutbaren Mietverhältnis wie beispielsweise ohne Strom und Wasser. Knapp die Hälfte verfügte über kein vertraglich geregeltes Mietverhältnis. 16 Prozent lebten ungeschützt auf der Straße, die meisten fanden vorübergehend Aufnahme bei Bekannten oder Freunden - was immer nur eine zeitlich befristete Lösung ist und in Pandemie-Zeiten wie 2021 auch für die aufnehmenden Haushalte herausfordernd war.

Etwa jeder siebte Hilfesuchende (15 Prozent) hatte trotz der „Lebenslage Wohnungsnot“ eine Festanstellung oder befand sich in Ausbildung bzw. in einer Maßnahme zur Arbeitsmarktintegration. Die meisten Menschen in Wohnungsnot hatten aber keine Arbeit (66 %), jeder siebte sogar keinerlei Einkommen. Da für alle wohnungslosen Menschen die postalische Erreichbarkeit ein wichtiger erster Schritt zu Teilhabe und Integration ist, ermöglichen fast alle Angebote der Wohnungsnotfallhilfe, eine Postadresse einzurichten. Aber auch hier gibt es Kritik: „Der Zugang zu den Leistungen der Wohnungsnotfallhilfe ist oft nur durch umfangreiche Antragstellung möglich. Dabei erfordern gesetzlich verankerter Hilfen nach § 67 SGB XII überhaupt keinen Antrag. Das Bekanntwerden der Notlage beim Sozialamt ist völlig ausreichend. Hier werden unnötige Hürden eingezogen, die Notwendiges „ohne Not“ verzögern. Auch Leistungen der Grundsicherung erfordern oftmals erheblichen bürokratischen Aufwand, der kaum zu bewältigen ist“, kritisiert beispielsweise Alfred Mucha eine verhindernde Behördenpraxis. Mucha ist Leiter der Chemnitzer Wohnungsnotfallhilfe, eine Eirichtung der Stadtmission Chemnitz.  Und: „Auch Menschen in Wohnungsnot müssen einen Zugang zum Internet und zu elektronisch zugänglichen Leistungen haben: Mit Geräten, Auflademöglichkeiten und in Hilfeangeboten.  Dies ist oftmals nicht der Fall, obwohl durch das Onlinezugangsgesetz Antragstellungen online möglich sein sollen und es mittlerweile hilfreiche Apps speziell für Menschen in Wohnungsnot gibt.“

Weitere grundlegende existentielle Fragen wie z. B. eine angemessene Unterbringung, medizinische und hygienische Versorgung und die Sicherung von Ernährung und Bekleidung schaffen die Grundlage für eine (Wieder-)Aufnahme von Arbeit und – auf lange Sicht – auch wieder die Unabhängigkeit von Sozialleistungen. „Uns fällt auf, dass der Anteil psychisch kranker Menschen in der Wohnungsnotfallhilfe zunimmt und hier dringend Wege der gesundheitlichen Versorgung gefunden werden müssen“, sagt Praktiker Mucha. Ebenso auffallend sei der hohe Anteil junger Menschen in den Einrichtungen. Insgesamt müsse sich noch viel tun, damit Wohnungslosigkeit aussterbe, meint Alfred Mucha: „Vielleicht zuerst die oberflächliche Haltung: ´Die Menschen sind selbst schuld und leben doch freiwillig auf der Straße.` Niemand lebt gerne ohne jeden Schutz im Elend!“

Hintergrund: Die Wohnungsnotfallhilfe Diakonie Sachsen bietet Hilfe für wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen in verschiedenen Formen auf Grundlage von §§ 67 ff. SGB XII an: Dazu gehören acht Kontakt-und Beratungsstellen, aber auch sechs Tagesaufenthalte mit Möglichkeiten zur Tagesstrukturierung, Gelegenheit zum Wäschewaschen, Trocknen, zur Körperpflege oder auch zur Zubereitung von warmen Mahlzeiten. Darüber hinaus bieten Einrichtungen Übernachtungs- und Wohnmöglichkeiten oder betreutes Wohnen sowie Straßensozialarbeit an.

Die aktuelle Lebenslagenerhebung finden Sie hier.

Für weitere Informationen und Rückfragen steht Ihnen Alfred Mucha gerne zur Verfügung:

a.mucha(at)stadtmission-chemnitz.de; Tel.: 0371 66626995; Handy: 0174 3349480.