29.06.2021
Zehn Jahre Bundesfreiwilligendienst ...
... etabliert, aber zu wenig Wertschätzung!
Er war als eine Art Ersatz für den Zivildienst und als Ergänzung zum Freiwilligen Sozialen Jahr gedacht: Der Bundesfreiwilligendienst (BFD), der prinzipiell allen Menschen allen Alters offensteht. Gestartet am 1. Juli 2011, ist das zehnjährige Jubiläum Anlass, Bilanz zu ziehen. Etwa 40 000 Menschen von den bundesweit 400 000 haben in Sachsen in den vergangenen zehn Jahren einen BFD absolviert.
Auch bei der Diakonie Sachsen haben 800 Freiwillige, überwiegend im Alter zwischen 27 und 75 Jahren, in der Pflege älterer Menschen, in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen einen wertvollen Beitrag mit ihrem Bundesfreiwilligendienst geleistet.
„Für viele von ihnen war dieser Dienst eine wichtige Zeit, für manche hat er sogar die Weichen für eine neue Berufswahl gestellt. Für einige wiederum war es einfach eine gute Überbrückungszeit, die mit etwas Sinnvollem gefüllt war. Langzeitarbeitslose Menschen im ALG-II Leistungsbezug etwa haben neue Erfahrungen – auch mit sich selbst - gemacht und ein Stück Normalität zurückbekommen. Sie waren Teil eines Teams und haben erlebt, dass viele Angebote ohne ihren Beitrag nicht möglich gewesen wären“, sagt Susanne Wolf-Dechandt, zuständige Fachbereichsleiterin bei der Diakonie Sachsen.
„Gerade in Corona-Zeiten, in denen Menschen ihre Arbeit verloren haben und neue berufliche Wege gehen müssen, oder auch nach der Elternzeit, bietet der Bundesfreiwilligendienst daher eine gute Möglichkeit, sich nochmal neu zu orientieren und Wartezeiten sinnvoll zu nutzen. Für sich und das Gemeinwohl.“
Der BFD kann eine Dauer zwischen sechs und 24 Monaten haben. Die pädagogischen Fachkräfte begleiten die Teilnehmenden in dieser Zeit, unterstützen bei Fragen, organisieren Weiterbildungen und gemeinsame Ausflüge. Selbstverständlich erhalten Interessierte auch Hilfe dabei, die richtige Einsatzstelle zu finden.
Aber das Engagement für Gemeinwohl und Gemeinschaft verdient aus Sicht der Diakonie mehr Wertschätzung.
Ein seit Jahren diskutierter Kritikpunkt ist die Tatsache, dass auch Freiwillige im BFD eine im besten Falle kostenfreie oder zumindest kostengünstige Fahrkarte angeboten werden sollte. Bisher können sie zwar Zeitfahrkarten zum ermäßigten Preis nutzen, das sind aber pro Monat auch je nach Tarifzone etwa 50 Euro. Während beispielsweise Soldaten oder die Absolventen des Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz „Dein Jahr für Deutschland“ kostenlos mit der Deutschen Bahn fahren. Zwar hat das Bundesfamilienministerium im Januar 2021 die Förderung im BFD um 50 Euro pro Monat mit der Bitte angehoben, die Taschengelder zu erhöhen, damit sich die Freiwilligen selbst eine Fahrkarte kaufen können. Aber bei den ALG-Empfängern kommt diese Leistung nicht an, weil sie mit den ALG-II-Bezügen gegengerechnet wird. Wie auch das Taschengeld.
„ALG-II-Empfänger dürfen entsprechend des im ALG-II geltenden Freibetrages nur 250 Euro ihres Taschengeldes behalten – egal, ob sie 20, 30 oder 40 Stunden pro Woche tätig sind. Regulär zahlt die Diakonie Sachsen je nach Stundenzahl ein Taschengeld zwischen 310 und 410 Euro aus, aber das wird wie gesagt auf die ALG-II-Leistungen angerechnet – das schmerzt und degradiert den Bundesfreiwilligendienst zu einer bloßen Station im Langzeitarbeitslosenbereich. Wertschätzend ist das alles nicht“, sagt Wolf-Dechandt.
„In einer Zeit, die mehr denn je deutlich macht, wie grundlegend der soziale Bereich für das Funktionieren unserer Gesellschaft ist, wäre eine höhere Vergütungsmöglichkeit und zumindest die freie Nutzung des Öffentlichen Nahverkehrs ein wichtiges politisches Signal der Anerkennung“, sagt Diakonie-Chef Dietrich Bauer.
Trotzdem ist der Bundesfreiwilligendienst für einige ein Sprungbrett. Wie für Heike Wulf, die als Freiwillige 2012 in der „Wolke“ in Chemnitz – ein Wohnprojekt der Stadtmission Chemnitz für körperbehinderte Erwachsene - als eine der ersten Bufdis begann und dort auch heute noch als Hauspflegerin arbeitet. „Es macht mir noch immer Spaß, ich werde gebraucht und ich kriege ja auch soviel zurück. Die Stadtmission ist ein prima Arbeitgeber und ich fühle mich sehr gut aufgehoben!“ Die heute 54jährige findet, dass ein BFD auch für „ältere Semester“ eine gute Gelegenheit ist, etwas neues auszuprobieren oder eben auch unabhängig vom JobCenter zu werden.