25.10.2021
Wohnungslosigkeit beenden – zustehende Rechte verwirklichen!
„Die Corona-Krise hat die prekäre Lage wohnungsloser oder von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen noch einmal sehr verschärft und gezeigt, dass wir nicht nur punktuell, sondern auf allen politischen und behördlichen Ebenen den unbedingten Willen brauchen, Wohnungsnotlagen zu beenden. Nicht nur, weil es jetzt wieder auf den Winter zugeht, muss die Grundversorgung von Menschen, die ganz ohne Unterkunft auf der Straße leben, ins öffentliche Bewußtsein rücken. Wohnungsnot ist eine erdrückende Realität das ganze Jahr über. Mieten und Nebenkosten steigen kontinuierlich an - gerade jetzt steigen Strom- und Heizungskosten dramatisch. Dadurch geraten auch Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt erwerbstätig sind, in Existenznot. Auch der Anteil junger Menschen unter 30 Jahre steigt. Wer keine eigene Wohnung hat, keinen Mietvertrag besitzt, sich täglich um eine Schlafmöglichkeit kümmern muss, um sich vor Kälte und Gefahren zu schützen, hat einen Rechtsanspruch auf Hilfe. Auch wenn die Wohnung durch Räumungsklage, durch Kündigung oder Auszug von Partnern oder Kindern gefährdet ist, müssen von Wohnungslosigkeit bedrohte Personen – wie auch wohnungslose Menschen - nach dem Gesetz (Sozialgesetzbuch XII) Hilfe bekommen. Doch diese Hilfen sind nicht angemessen ausgebaut, sie kommen oft zu spät oder stehen nicht in einem angemessen schnellen Zeitraum zur Verfügung. Ganz besonders galt dies zu Corona-Zeiten, weil zuständige Ämter und Behörden nicht oder nur stark eingeschränkt zugänglich waren“, so Rotraud Kießling, zuständige Referentin, anlässlich der heutigen Veröffentlichung des Lebenslagenberichtes der diakonischen Wohnungsnotfallhilfe in Sachsen. Die Mitarbeitenden der Wohnungsnotfallhilfe waren und sind in der Pandemie für diese verwundbare Bevölkerungsgruppe das letzte Netz, um Übernachtung, Aufenthaltsmöglichkeiten während des Tages, Mahlzeiten, Kleidung, sanitäre Anlagen, Duschangebote, Händehygiene und medizinische Hilfen abzusichern.
Der Zeitraum dieses Berichtes erstreckt sich über das Jahr 2020 und bildet lediglich einen Ausschnitt der Gesamtsituation in Sachsen ab: So erhielten im Jahr 2020 insgesamt 3.178 Personen Hilfe und Unterstützung in den Kontakt- und Beratungsstellen sowie im Ambulant betreuten Wohnen der diakonischen Wohnungsnotfallhilfe – das waren 100 Fälle mehr als im Vorjahr (3.076) – sichtlicher Ausdruck der Krise. Die Hilfe reichte von sofortiger Unterstützung in einer akuten Krisensituation über das Einrichten einer Postadresse zur Sicherung der Erreichbarkeit bis hin zur Überwindung der schwierigen Lebenslage durch den Bezug einer eigenen Wohnung. Die Kurzberatungen überwogen gegenüber den kontinuierlichen Beratungen. Nach wie vor fehlen weiterführende Angebote wie z. B. für junge erwachsene Wohnungslose oder für psychisch kranke Menschen und insgesamt ist der Zugang zu Wohnraum für einkommensarme Menschen und Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten ganz besonders erschwert.
Besonders schwer wiegt auch die Betroffenheit von Familien. So waren 582 Kinder mitbetroffen - eine tatsächliche Zwangsräumung kann für sie bedeuten, dass sie von den Eltern getrennt untergebracht werden.
Nahezu die Hälfte aller Klientinnen und Klienten war wohnungslos, also ohne ein vertraglich geregeltes Mietverhältnis, ein Viertel stand direkt vor dem Wohnungslust, ein weiteres Viertel war potentiell davon betroffen. Am stärksten betroffen waren Menschen zwischen 25 und 55, die größte Gruppe mit einem Anteil von 26 Prozent war 25 bis unter 35 Jahre alt.
„In Sachsen sind lediglich 5 Prozent der Bevölkerung 18 bis unter 25 Jahre alt. In der Wohnungsnotfallhilfe machen sie aber fast den dreifachen Anteil aus, nämlich 14 Prozent – ein alarmierendes Zeichen, wenn man sehen muss, dass die Volljährigkeit bereits mit Existenznot, Armut und Perspektivlosigkeit beginnt und Sicherungssysteme wie z. B. Leistungen des Jobcenters nicht greifen“, kommentiert Kießling die Zahlen. Die am 1. November anlaufende Kältehilfe sei ein wichtiges Netz für wohnungslose Menschen, um über die harten Wintermonate zu kommen, ändere aber an ihrer häufig strukturell bedingten Wohnungslosigkeit nichts.
Um Wohnungslosigkeit zu beenden, brauche es endlich den notwendigen Willen auf allen Ebenen der Politik und öffentlicher Träger wie Ämter und kommunaler Wohnungsgesellschaften: „Dazu gehören auskömmliche Löhne, ein bedarfsdeckender Regelsatz der u. a. auch die tatsächlichen Energiekosten berücksichtigt, Angemessenheitsgrenzen der Miete (Kosten der Unterkunft), die der Realität entsprechen, das Verbot von Zwangsräumungen in die Wohnungslosigkeit hinein sowie mehr bezahlbarer Wohnraum mit einem Zugang auch für überschuldete Menschen. Dazu kommt eine angemessene Finanz-Ausstattung der örtlichen Sozialämter, die verpflichtet sind, alle gesetzlichen Leistungsansprüche von Menschen in Not zu sichern!“, so Kießling abschließend.
Hintergrund: Die Wohnungsnotfallhilfe Diakonie Sachsen bietet Hilfe für wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen in verschiedenen Formen auf Grundlage von §§ 67 ff. SGB XII an: Dazu gehören acht Kontakt-und Beratungsstellen, aber auch sechs Tagesaufenthalte mit Möglichkeiten zur Tagesstrukturierung, Gelegenheit zum Wäschewaschen, Trocknen, zur Körperpflege oder auch zur Zubereitung von warmen Mahlzeiten. Darüber hinaus bieten Einrichtungen Übernachtungs- und Wohnmöglichkeiten oder betreutes Wohnen sowie Straßensozialarbeit an.
Die aktuelle Lebenslagenerhebung finden Sie als pdf-Datei hier. Ebenso die Liste mit den Angeboten der diakonischen Kältehilfe in Sachsen.
Weitere Informationen: Rotraud Kießling, Tel.: 0351/8315-178, rotraud.kiessling(at)diakonie-sachsen.de