27.07.2021
(Un)Gepflegte Zeiten? Mehr Zeit für Menschlichkeit
- Anregungen der Diakonie Sachsen für die ausstehende Reform der Pflegeversicherung
Die Diakonie Sachsen versorgt mit ihren pflegerischen Einrichtungen und Diensten in Sachsen Tag für Tag rund 26 000 pflegebedürftige Menschen. Sie ist damit ein wichtiger Akteur mit hoher Praxiserfahrung vor Ort und bestens vertraut mit der Situation im Land. Daher setzt sie sich nachdrücklich dafür ein, dass die Reform der Pflegeversicherung auf der bundespolitischen Agenda bleibt und meldet sich mit eigenen Anregungen zu Wort.
Die bisherigen Reformschritte reichen aus ihrer Sicht nicht aus, um eine würdevolle Pflege in Zukunft abzusichern.
„Uns als evangelischen Wohlfahrtsverband ist es wichtig, darauf hinzuweisen, was Kern und Ziel allen Bemühens auf bundes- und landespolitischer Ebene sein muss: Es geht um mehr Zeit für Menschlichkeit – und zwar auf beiden Seiten: Pflegebedürftige Menschen sollen mit der nötigen Zuwendung und Zeit gepflegt werden und Fachkräfte müssen mit der nötigen Sorgfalt, Fachlichkeit und Verantwortlichkeit ohne die Stoppuhr im Nacken ihre Arbeit tun dürfen! Ob im Heim, in den Kurzzeitpflegen, Tagespflegen, oder in der ambulanten Versorgung zur Unterstützung Pflegebedürftiger und ihrer Angehörigen. Pflegebedürftige Menschen, die dieses Land nach dem zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut haben, haben ein Recht auf würdige Pflege in angemessener Qualität und mit Zeit für persönliche Zuwendung. Und sie müssen wissen, welche finanziellen Belastungen auf sie zukommen, wenn sie pflegebedürftig werden. Die Eigenanteile, also das, was man bezahlen muss, wenn man eine Leistung der Pflegeversicherung in Anspruch nimmt, müssen begrenzt und kalkulierbar sein“, begründet Dietrich Bauer, Vorstandvorsitzender der Diakonie Sachsen, den Vorstoß.
Um die bisherige Unterfinanzierung der Pflege und damit verbunden den großen Fachkräftemangel zu beenden, regt die Diakonie eine soziale Bürgerversicherung an, die alle Versicherten mit einbezieht, die Beitragsbemessungsgrenzen anhebt und die Beitragspflicht auf alle Einkunftsarten gemäß Einkommensteuergesetz ausdehnt. Auch das bestehende Gerechtigkeitsdefizit zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung sollte zugunsten der sozialen Pflegeversicherung ausgeglichen werden.
Gleichwohl sollen nicht alle pflegebedingten Ausgaben von der Versichertengemeinschaft getragen werden. Einen planbaren und begrenzten Eigenanteil an den pflegebedingten Kosten sowohl stationär als auch ambulant hält die Diakonie für zumutbar. Weil vier von fünf pflegebedürftigen Menschen zu Hause von Angehörigen, Nachbarn oder Freunden gepflegt werden, ist die alleinige Fixierung auf den „Eigenanteil“ bei Heimplätzen aus Sicht der Diakonie nicht zielführend. „Wir wollen die familiäre bzw. informelle Pflege stärken und setzen dabei auf ein Pflegeunterstützungsgeld analog des Elterngeldes und eine höhere Honorierung der Pflegezeiten in der Rentenversicherung“, lautet dazu ein Vorschlag. Selbstverständlich müssten alle entlastenden Strukturen wie Tages- und Kurzzeitpflegen, ambulante Dienste und Dienstleistungsangebote gestärkt sowie eine sachgerechte Beratung angestrebt werden, soll die informelle Pflege auch in Zukunft möglich bleiben.
Nicht alle Anregungen betreffen bundespolitische Entscheidungen: Als wichtig sieht die Diakonie Sachsen auch eine bundesweit einheitliche Assistenzausbildung (früher: Pflegehelfer) im Pflegebereich, die bisher in die Kompetenz der Bundesländer fällt.
Auch bei der Übernahme der Investitionskosten für Pflegeeinrichtungen sieht die Diakonie das Land Sachsen in der Pflicht, um die pflegebedürftigen Menschen finanziell zu entlasten.
Und einen wichtigen Beitrag zur finanziellen Entlastung der Pflegeversicherung insgesamt haben die Krankenkassen zu leisten: Sie sollten endlich die Kosten der medizinischen Behandlungspflege in der stationären Pflege übernehmen. Hier klafft seit Einführung der Pflegeversicherung eine Gerechtigkeitslücke, weil sich die Krankenkassen mit jedem Umzug eines behandlungspflegerisch versorgten alten Menschen in eine stationäre Pflegeeinrichtung die jeweiligen Aufwendungen, die im häuslichen Bereich vergütet werden, sparen. Zu Lasten der Pflegeversicherung und damit auch zu Lasten höherer Eigenanteile der Bewohner.
Hier finden das Pflegepapier der Diakonie Sachsen „(Un)Gepflegte Zeiten – Anregungen der Diakonie Sachsen für die ausstehende Reform der Pflegeversicherung“.