23.10.2018
Kritik an entwürdigenden Lebensumständen in Flüchtlingslagern

Familiennachzug zu beschleunigen wäre eine erste Maßnahme
„Die Bedingungen in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln sind erniedrigend. Sie sind extrem überbelegt, die Menschen – in Chios sind darunter 110 schwangere Frauen - müssen dichtgedrängt in nicht winterfesten Containern und Zelten leben. Eine ausreichende Versorgung mit Essen und Trinkwasser gibt es nicht. Die Latrinen laufen über, die Kinder spielen im Müll. Die Zustände sind einfach nur krankmachend“, erzählt Annegret Krellner von der Migrationsberatungsstelle Cabana des Ökumenischen Informationszentrums in Dresden. Sie war eine der Vertreterinnen der Diakonie Sachsen, die an der 15. Europäischen Asylkonferenz von Kirchen und Diakonie auf der griechischen Insel Chios und in der Hauptstadt Athen teilgenommen hat.
Krellner weiter: „Dazu kommt: Die Polizei bewacht die Lager nur von außen. Drinnen gibt es keine Sicherheit für Frauen und Kinder vor Gewalt. Die Menschen, die über Monate, manche viel länger als ein Jahr, darin leben müssen, haben Angst. Viele sind schon mit schweren Erkrankungen gekommen, viele haben im Heimatland Krieg, Folter und Vergewaltigung überlebt und sind schwer traumatisiert.“ Zudem könnten Kinder und Jugendliche keine normale Schule besuchen. Es fehlt an orientierender Information und rechtlicher Beratung zum hochkomplexen Asylverfahren in Griechenland. Die oft jahrelangen Verfahren seien langwierig und ungerecht.
Wie sich aus den Gesprächen mit verschiedenen Behördenvertretern/-innen und unabhängigen Experten/-innen ergab, liege ein Teil der Verantwortung bei den griechischen Behörden. „Die Zustände sind aber ganz offensichtlich Teil eines europäischen Abschottungs- und Abschreckungskonzeptes“, so Jürgen Blechinger, Jurist und Referent für Flucht und Migration der Diakonie Baden. Der politische Druck auf die griechische Regierung und Behörden sei immens.
Dieses Konzept wird im Kontext des EU-Türkei Deals als Pilotprojekt umgesetzt. Die Schutzsuchenden, denen es noch gelingt, mit Booten bis zu den griechischen Inseln zu kommen, sollen grundsätzlich keinen Zugang zu einem Asylverfahren in der EU erhalten. Ihre Anträge werden ohne Prüfung der Fluchtgründe auch auf rechtlich höchst fragwürdige Weise abgelehnt. Ziel ist, möglichst viele in die keineswegs sichere Türkei abzuschieben. Seit März 2016 wurden ca. 1750 Personen dorthin zurück geschoben, viele Verfahren sind bei den Gerichten anhängig. Die Menschen stecken in Ungewissheit und der Unsicherheit der Hotspots fest.
„Die Wucht der geschilderten Erfahrungen unserer Kirchen- und Diakonievertreter und -vertreterinnen zeigt, dass hier - gerade angesichts des bevorstehenden Winters - dringend etwas geschehen muss!“ sagt Dietrich Bauer, Chef der Diakonie Sachsen. Und er schlägt vor: „Als allererste Maßnahme müssten die Menschen die Lager verlassen dürfen, deren Familienangehörige bereits in anderen europäischen Ländern leben. Das Recht auf Familienleben gilt genauso für Flüchtlinge. Familien gehören zusammen! Rechtliche und administrative Hürden beim Familiennachzug sind nicht nur aus humanitären Gründen, sondern auch aus integrationspolitischer Perspektive fatal!“