11.10.2018

Berufliche Bildung und lebenslanges Lernen für alle

Werkstätten für Menschen mit Behinderung sollen auch im Arbeitsbereich Angebote machen!

Berufliche Bildung – das ist nach Ansicht des landesweiten Sprecherrats der Werkstätten für Menschen mit Behinderung keineswegs nur ein Thema für den Berufsbildungsbereich von Werkstätten und damit für junge Menschen. „Das Thema lebenslanges Lernen und berufliche Bildung ist ein in der UN-Behindertenrechtskonvention klar benanntes Recht, findet aber in den Werkstätten für Menschen ausschließlich im Berufs-Bildungsbereich statt. Was ist aber mit denjenigen, die schon viele Jahre im Arbeitsbereich einer Werkstatt arbeiten? Sie wollen auch Zugang zu Bildungsangeboten. Viele wünschen sich sogar eine Zertifizierung, die dokumentiert, was sie beruflich können!“, sagt Thomas Müller von der WfbM Zwickau.

Der Sprecherrat der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Menschen mit Behinderung in Sachsen bezeichnete das Thema Bildung im Arbeitsbereich bei seinem Treffen in den Räumen der Diakonie Sachsen als ein zentrales Anliegen. Gerade weil mit der Einführung der Praxisbausteine in mittlerweile fast der Hälfte aller 60 sächsischen Werkstätten eine zertifizierte Berufliche Bildung möglich geworden ist, würden sich die langjährig Beschäftigten in den Werkstätten fragen: „Und was ist mit uns? Viele Werkstattgängerinnen und Werkstattgänger würden gerne noch mehr aus ihrem Leben machen, vielleicht sogar die Werkstatt verlassen oder sich eine höhere Entlohnung wünschen. Aber für sie gibt es keine Angebote zu beruflichen Bildung oder Weiterbildung. Das ist im System nicht vorgesehen“.

Doch wie könnte berufliche Bildung im Arbeitsbereich einer Werkstatt aussehen? Wie der rege Austausch des Sprecherrats ergab, sind Kurssysteme denkbar, Pflicht- oder Fachschulungen im Rahmen begleitender Angebote, aber auch eine Grundstruktur, die ähnlich wie bei den Praxisbausteinen verbindliche und überprüfbare Standards mit den dazugehörigen Leistungsprüfungen anbietet. Damit könnten sich potentielle Arbeitgeber über die Möglichkeiten des Bewerbers klar informieren. „Und für die Beschäftigten wäre es ein Motivationsschub! Es ist nicht unsere Aufgabe als Werkstattrat das Beste für die Werkstatt zu wollen, sondern für die Beschäftigten. Die bisher entwickelten Konzepte zur beruflichen Bildung wie die Praxisbausteine könnten zumindest in Teilen in den Arbeitsbereich der Werkstätten ausgedehnt oder sogar übernommen werden!“

Anfang August hatten die Werkstatträte in einem Schreiben an den Kommunalen Sozialverband Sachsen – zuständiger Kostenträger für den Arbeitsbereich -  gebeten, die Angebote der beruflichen Bildung auf den Arbeitsbereich auszudehnen und die Finanzierung dieser Angebote abzusichern. Die nun erhaltene Antwort ist jedoch unbefriedigend. So wird darauf verwiesen, dass bereits Möglichkeiten der persönlichen Bildung innerhalb der Werkstätten, wie etwa Praktika in Bereichen oder auf Außenarbeitsplätzen bestünden. Darüber hinaus könnten Menschen mit Behinderung auch Kurse an Volkshochschulen besuchen. Insgesamt hält der KSV „eine Weiterführung des Modells Praxisbaustein im Arbeitsbereich derzeit nicht für erforderlich“. Die Werkstatträte werden sich damit nicht zufrieden geben. Denn: „Die Mehrbelastung, der zeitlich organisatorische Aufwand – etwa wenn ein Fahrdienst etxra gebucht werden muss, die Kosten für den Kurs und die dort meistens doch vorhandenen Barrieren, sprechen nicht für eine berufliche Bildung außerhalb der Werkstatt“, sagt Werkstattratsmitglied Mario Dreßler.

Hintergrund: Die Praxisbausteine gehen auf eine Projektidee und Umsetzung der Diakonie Sachsen zurück. Sie standardisieren berufliche Bildung für Menschen mit Behinderung, die als nicht ausbildungsfähig und nicht erwerbsfähig gelten. 79 Praxisbausteine wurden in den vergangenen Jahren entwickelt, die sich inhaltlich und strukturell an 11 verschiedenen Ausbildungsberufen orientieren. Die einzelnen Bildungsmodule sind von Handwerkskammer sowie Industrie- und Handelskammer zertifiziert und bilden somit anerkannte Abschlüsse. Diese sollen die Chance von Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt erheblich verbessern, weil sie potentiellen Arbeitgebern zweifelsfrei zeigen, was der Bewerber wirklich kann. Anderenfalls können Menschen mit Behinderung, die in der WfbM verbleiben, nun entsprechend ihrer erworbenen fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten und im Arbeitsbereich der Werkstatt oder auf einem Außenarbeitsplatz platziert werden. Werkstätten, die für Praxisbaustein zugelassen sind und diese im Rahmen des Berufsbildungsbereiches anbieten, erhalten durch den zuständigen Kostenträger für diesen Bereich, der Bundesagentur für Arbeit, eine finanzielle Förderung.

Weitere Informationen: Sprecherrat der Werkstatträte Sachsen, Untere Aktienstr. 12, 09111 Chemnitz, Assistentin des Sprecherrats: Katja Seyffert-Weiß, Tel.: 0152/54923623.
Michaela Bartel, Referentin Eingliederungshilfe Diakonie Sachsen, Tel.: 0351/8315-205